Sonntag, 22. November 2015

(K)ein Buch der Offenbarung


Der Durchschnittsdeutsche verbringt im Monat 15,5 Stunden bei Facebook. Dazu kommen die knapp 100 Stunden, die am Smartphone verbracht werden und damit bei Twitter, Instagram und Co. Soziale Netzwerke bestimmen immer mehr das alltägliche Leben, was an sich nicht gleich etwas Verwerfliches darstellt. Facebook rühmt sich beispielsweise neuerdings mit 1,5 Milliarden Nutzern bis September 2015. Ende 2012 hatte es die Milliardenmarke überschritten, 2 Milliarden Benutzer sind nicht mehr weit entfernt. Diese Zahlen erscheinen schon hoch, stellt es aber doch noch eine relativ große Hürde dar, sich bei Facebook einzurichten, von den Massen an WhatsApp-Nutzern kann hier gar keine Rede sein.

Während die Anzahl der Menschen, die sich täglich in den sozialen Netzwerken aufhalten, zunimmt, nimmt auch die Anzahl an Menschen zu, die vermeintlich etwas zu sagen haben. Angefangen als Anlaufstelle für neurotische Selbstdarsteller, hat es sich doch so weit entwickelt, dass jeder Mensch das Mitteilungsbedürfnis in sich entdeckt.

Auch hier lässt sich sagen: Schön und gut, wenn die Nutzer harmlose Katzenvideos oder lustige Fotos posten, aber seit Anfang 2015 ist Facebook eines mehr als je zuvor geworden: Es ist politisch.

Es herrscht Anonymität, und genau hier liegt der Sprengstoff. Jeder teilt seine Meinung aus, wie es ihm gerade passt und das ist auch völlig legitim. Aber diese Meinung wird bei 99% aller Äußerungen völlig verquer wiedergegeben. Da werden Posts in den Kommentaren zerrissen, auf die übelste Art und Weise. Aber dafür ist Facebook nicht geschaffen. Eine politische Diskussion kann nicht mit wüsten Beleidigungen, sondern nur durch Seriosität vorangetrieben werden. Hat man bei einer Zusammenkunft, sei es in der Dorfkneipe oder im Bundestag, noch seinen Gegenspieler vor sich, ist die Hemmschwelle um ein Vielfaches größer, ihm die Meinung beleidigend ins Gesicht zu sagen. Die Ausmaße sind nicht mehr tolerierbar, da kämpfen Fronten oftmals erbittert gegeneinander. Seien es harmlose Kriege zwischen einer Fangruppe, die ihre Lieblings-Boyband verteidigt und denen, die die Musik schlecht finden oder auch Auseinandersetzungen zwischen Pegida-Mitläufern und ihren selbsternannten Gutmenschen. Allgemein lässt sich sehen, dass seit der Flüchtlingskrise dieser Abwärtstrend von Facebook immer stärker zu spüren ist. Wer sich zu sehr von seinen Gefühlen leiten lässt, und das gilt immer für beide Seiten, kann keine sachliche, thematisch wertvolle Diskussion führen. Aber die gibt es bei Facebook eh schon seit Jahren nicht mehr. Und sollte mal etwas wirklich grenzwertiges gesagt werden: Was kümmert es Facebook? Die sind doch noch mit dem Löschen von Nacktbildern beschäftigt.

Ein weiteres Thema ist der Umgang auf Facebook mit sensiblen Themen. Die Terroranschläge von Paris haben die Bevölkerung im größten Ausmaß erschüttert. Völlig logisch, dass jeder seine Solidarität zeigen möchte. Praktisch auch, dass Facebook kaum fünf Stunden nach dem Erfassen aller Anschläge gleich ein Tool zur Verfügung stellt, mit dem man sein Profilbild schön in die Farben der Trikolore tauchen kann. Soweit auch nichts neues, gab es doch schon unzählige solcher Bildverschönerungen. Man bedenke den Regenbogen für die Gleichstellung der homosexuellen Paare in den Vereinigten Staaten, den Anschlag auf Charlie Hebdo oder die anti-israelitischen Bildchen, bei denen konsequent dargestellt wird, wie Palästina unterdrückt wird. Alles Solidaritätsbekundungen, die schnell wieder vergingen. Nur letzteres ist bei bestimmten Gruppen noch zu sehen. Aber genau so ist es auch den Frankreich-Flaggen ergangen. Jeder hat wie wild auf das Tool eingedroschen, jeder musste unbedingt seine Anteilnahme ausdrücken, jeder hat es auf eine temporäre Dauer von zwei Tagen eingestellt. Danach war es vorbei mit der Solidarität, von da an ging es weiter mit den üblichen Diskussionen um die Schuldigen und das Risiko von Terrorismus in Europa. Solidarität kann und soll gezeigt werden, aber wie Facebook damit umgeht ist mehr als fragwürdig, wo doch die Einfärbung von allein wieder rückgängig gemacht wurde.

Am Ende bleibt nur die Vergänglichkeit eines Posts, der entweder nur zu Streitereien in den Kommentaren führt, oder für den man sich am Ende selbst schämt.
Da zählt der Wille sich niemals in heikle, von Emotionen unterwanderten, Diskussionen einzumischen und zu versuchen, sich nicht krankhaft selbstdarstellen zu wollen. Denn dafür gibt es ja noch Instagram.


Ja, und falls der Social-Media-Overkill Überhand nimmt, bleibt immer noch der Ausweg, einfach mal ein paar Stunden abzuschalten und echten, zwischenmenschlichen Konversationen beizuwohnen.